Heiliger Abend 1998

Kurzpredigt Heiliger Abend 1998

Jürgen Schulig

Es war einmal, drei Tage vor Weihnachten, spät abends. Über den Marktplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen. Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die Mauer „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Steine flogen in die Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche. Dann zog die Horde ab. Gespenstige Ruhe. Die Gardinen an den Bürgerhäusern waren schnell wieder zugefallen. Niemand hatte etwas gesehen.

„Los, kommt, es reicht, wir gehen.“ – „Wo denkst Du hin! Was sollen wir denn da unten im Süden?“ – „Da unten? Das ist doch immerhin unsere Heimat. Hier wird es immer schlimmer. Wir tun, was an der Wand steht: ´Ausländer raus!`“

Tatsächlich, mitten in der Nacht, kam Bewegung in die kleine Stadt. Die Türen der Geschäfte sprangen auf: Zuerst kamen die Kakaopäckchen, die Schokoladen und Pralinen in ihren Weihnachtsverpackungen. Sie wollten nach Ghana und Westafrika, denn da waren sie zu Hause. Dann der Kaffee, palettenweise, der Deutschen Lieblingsgetränk; Uganda, Kenia und Lateinamerika waren seine Heimat. Ananas und Bananen räumten ihre Kisten, auch die Trauben und Erdbeeren aus Südafrika. Fast alle Weihnachtsleckereien brachen auf. Pfeffernüsse, Spekulatius und Zimtsterne, die Gewürze in ihren Inneren zog es nach Indien. Der Dresdner Christstollen zögerte. Man sah Tränen in seinen Rosinenaugen, als er zugab: Mischlingen wie mir geht’s besonders an den Kragen. Mit ihm kamen das Lübecker Marzipan und der Nürnberger Lebkuchen.

Nicht Qualität, nur Herkunft zählten jetzt. Es war schon in der Morgendämmerung, als die Schnittblumen nach Kolumbien aufbrachen und die Pelzmäntel mit Gold und Edelsteinen in teuren Chartermaschinen in alle Welt starteten. Der Verkehr brach an diesem Tag zusammen. Lange Schlangen japanischer Autos, vollgestopft mit Optik und Unterhaltungselektronik, krochen gen Osten. Am Himmel sah man die Weihnachtsgänse nach Polen fliegen, auf ihrer Bahn gefolgt von den feinen Seidenhemden und Teppichen des fernen Asiens.

Mit Krachen lösten sich die tropischen Hölzer aus den Fensterrahmen und schwirrten ins Amazonasbecken. Man mußte sich vorsehen, um nicht auszurutschen, denn von überall her quoll Öl und Benzin hervor, floß in Rinnsalen und Bächen zusammen in Richtung Naher Osten. Aber man hatte ja Vorsorge getroffen. Stolz holten die großen deutschen Autofirmen ihre Krisenpläne aus den Schubladen: Der Holzvergaser war ganz neu aufgelegt worden. Wozu ausländisches Öl? – Aber die VW`s und BMW`s begannen sich aufzulösen in ihre Einzelteile, das Aluminium wanderte nach Jamaica, das Kupfer nach Somalia, ein Drittel der Eisenanteile nach Brasilien, der Naturkautschuk nach Zaire. Und die Straßendecke hatte mit dem ausländischen Asphalt im Bund ein besseres Bild abgegeben als heute.

Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, der Auszug geschafft, gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Nichts Ausländisches war mehr im Land. Aber Tannenbäume gab es noch, auch Äpfel und Nüsse. Und ´Stille Nacht` durfte gesungen werden – zwar nur mit Extragenehmigung, das Lied kam immerhin aus Österreich. Nur eines wollte nicht ins Bild passen. Maria und Josef und das Kind waren geblieben. Drei Juden. Ausgerechnet. „Wir bleiben“, sagte Maria, „wenn wir aus diesem Land gehen, wer will ihnen dann noch den Weg zurück zeigen, den Weg zur Vernunft und zur Menschlichkeit?“

Jesus kommt, Weihnachten feiern wir das Fest Seiner ersten Ankunft! Und Jesus bleibt, bleibend ist Seine Treu, solange diese Gnadenzeit noch währt, bis zu Seinem zweiten Kommen, um uns abzuholen. Wie gut, daß wir für Ihn keine verachtenswerten Ausländer sind, keine Heiden, auf die die Juden voller Stolz hinabgeblickt haben. Jesus kommt, nicht nur wie damals, vor etwa zweitausend Jahren, oder wie vielleicht schon bald wieder, bei Seiner zweiten Wiederkunft. Jesus kommt, auch heute, Jesus läßt sich von Deinen Sünden nicht abschrecken, Jesus wandert nicht nach Israel aus, nein Jesus kommt auch heute ganz persönlich zu Dir und klopft bei Dir an, will in Deinem Herzen wohnen.

Für alle, die Jesus noch nicht kennen, kommt Jesus tatsächlich ganz reell nur zweimal. Damals, vor über zweitausend Jahren, kam Jesus als Baby in diese Welt, das Erstemal, fast ein jeder hat diese Geschichte schon einmal gehört! Für diese Menschen wird Jesus auch ein zweites Mal kommen, nämlich dann, wenn Sein Gericht anbrechen wird, wenn sich ein jedes Knie, sei es auch noch so ungläubig, vor Ihm beugen muß.

Wir, als seine Freunde und Nachfolger, wir, als gläubige Christen, erleben Jesus immer wieder, schon heute und morgen, bis in alle Ewigkeiten hinein. Jesus kommt zu uns… ein drittes Mal, ein viertes Mal, ein fünftes Mal, ein sechstes Mal, ein siebtes Mal, ein siebzigstes Mal, ein siebenhundertstes Mal, ein siebentausendstes Mal… Jesus möchte mit uns immer wieder Gemeinschaft haben, tagtäglich neu…!

Wie arm sind dann doch diejenigen dran, die nicht an Jesus glauben. Für sie kommt Jesus ganz unwirklich, wie ein stets wiederkehrendes Märchen, einmal im Jahr vorbei, zu Weihnachten, klopft an,  um dann wieder für ein Jahr zu verschwinden, bis zum nächsten Weihnachtsfest. Einmal im Jahr gehen diese Menschen vielleicht in die Kirchen, schauen sich dort die schönen Krippen an, wünschen sich dazu ´schöne Weihnachten`und vergessen dann Jesus wieder für eine lange Zeit, vielleicht auch nur bis Ostern. Auch Ostern sollen diese Kirchen ja noch voll sein. Doch Jesus vergißt diese Ungläubigen nicht. Solange wir noch in dieser Gnadenzeit leben, klopft Jesus immer wieder an den Herzen dieser Ungläubigen an, doch die allermeisten dieser verstockten Menschen machen Jesus ihr Herz nicht auf… Eine billige Kopie reicht ihnen völlig aus, ein Weihnachtsmann, zur Not darfs auch noch ein Osterhase sein. Nur ja nichts Verbindliches, Religion light eben, wie eine Tafel Schokolade, quadratisch, praktisch, gut und schnell verzehrt. Das reicht… es gibt doch noch so viele andere Tröster in dieser Welt! So habe ich früher auch gedacht und war froh, wenn dieses Weihnachtsfest schnell wieder vorbei war.

Und heute? Natürlich freue ich mich schon ein wenig auf Weihnachten, vielleicht aus Tradition, natürlich auch der Geschenke wegen. Vielleicht auch, weil ich mir von Weihnachten etwas ganz besonderes erwarte, und wenn es auch nur eine weiße Weihnacht ist. Als Christ freue ich mich auf Weihnachten, weil Jesus, meine lebendige Hoffnung, für mich in diese Welt gekommen ist. Doch deshalb ist Weihnachten nichts Ungewöhnliches mehr für mich, Weihnachten findet für mich nicht nur ein Mal im Jahr statt! Ich kann Jesus tagtäglich meinen Wunschzettel sagen, nicht nur zu Weihnachten, Jesus kennt mich und hört tagtäglich meine Gebete und gibt mir alles, was ich brauche, nicht nur zu Weihnachten!

Und deshalb ist Weihnachten nichts Ungewöhnliches mehr für mich… Weihnachten findet für mich jeden Tag statt! Jesus kommt jeden Tag neu zu mir, nicht nur einmal im Jahr am Ende der Adventszeit, zu Weihnachten! Schon gleich nach dem morgendlichen Aufstehen klopft Jesus an, Jesus kommt täglich zu mir, möchte mit mir Gemeinschaft haben, nicht nur in der ´Stillen Zeit`.  Und wenn ich auch immer wieder sündige, läßt sich Jesus wie diese Nikolausweihnachtsmänner nicht verjagen in ein fernes Schokoladenheimatland…., nein, Jesus schenkt mir in der Vergebung immer wieder neu Gnade, Jesus klopft immer wieder neu an und kommt in mein geöffnetes Herz. Und deshalb bin ich tagtäglich immer wieder so reich beschenkt…, Jesus ist tagtäglich da, nicht nur zur Weihnachtszeit.

Weihnachten ist für mich nichts Ungewöhnliches mehr, Weihnachten findet für mich täglich statt. Ich wünsche Euch schöne Weihnachten, und nicht nur Heute und Morgen und Übermorgen!

Amen!